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Das Bretton-Woods-Dilemma des unausgeglichenen Handels

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Während der Staub des von Martin Wolf als „Trump II – Lasst uns die Weltwirtschaft zum Spaß in die Luft jagen“ bezeichneten Handelskrieges weiter aufgewirbelt wird, deuten die Konturen eines finalen Resultats weniger auf Bemühungen zur Beseitigung bilateraler Handelsungleichgewichte als vielmehr auf einen gezielten Angriff auf die gesamte regelbasierte Welthandelsordnung hin. Andernfalls wäre der Vorschlag der Europäischen Union für ein Null-Zollabkommen nicht von Präsident Donald Trump mit der Begründung zurückgewiesen worden, dass die Gemeinschaft von mittlerweile 27 Mitgliedstaaten nur gegründet worden sei, um den Vereinigten Staaten im Handel zu schaden. Die internationale Furcht vor einer Abkopplung der USA vom globalen Finanz- und Handelssystem hat zu einem rapiden Vertrauensverlust in den US-Aktienmarkt, den US-Dollar und die langfristigen Renditen von US-Staatsanleihen geführt und gleichzeitig die Nervosität der Märkte in Bezug auf Wachstum, Inflation und öffentliche Institutionen (sowie die Unabhängigkeit der US-Notenbank) neu entfacht.

„Zurück zu den Ursprüngen!“

Nur drei Wochen nach der unilateralen Infragestellung des Welthandelssystems, die von vielen als Auslöser einer möglichen Weltwirtschaftskrise angesehen wurde, haben die beiden Bretton-Woods-Institutionen die Finanzelite der Welt vor dem Hintergrund

  • der Beschreibung einer aus dem Gleichgewicht geratenen Weltwirtschaft durch den US-Finanzminister Scott Bessent, der die internationale Gemeinschaft aufforderte, den IWF und die Weltbank wieder auf ihre Gründungsziele auszurichten, die Ausweitung ihrer Aufgaben zu begrenzen und sich von ihren weitreichenden und unkonkreten Programmen zurückzuziehen, die ihre Fähigkeit, ihre Kernaufgaben zu erfüllen, beeinträchtigt hätten;
  • einer von US-Präsident Donald Trump unterzeichneten Verordnung, bis August 2025 eine Überprüfung aller internationalen zwischenstaatlichen Organisationen durchzuführen, in denen die Vereinigten Staaten Mitglied seien und die sie in irgendeiner Weise finanziell unterstützten, um festzustellen, welche Organisationen den Interessen der Vereinigten Staaten zuwiderliefen und ob diese Organisationen reformiert werden könnten; und
  • des Projekts 2025, dem politischen Entwurf der gegenwärtigen Regierung, das internationale Organisationen wie die Weltbank und den IWF als Verfechter wirtschaftlicher Theorien und Strategien betrachte, die den Prinzipien des freien Marktes und der begrenzten Staatsgewalt in den USA zuwiderliefen, und empfehle, dass die USA aus der Weltbank und dem IWF austrete und ihre finanziellen Beiträge einstelle (eine mildere Forderung im gleichen Dokument lautet, dass der Außenminister eine umfassende Kosten-Nutzen-Analyse der Beteiligung der USA an allen internationalen Organisationen einleiten solle)

zu ihrer Frühjahrstagung nach Washington eingeladen.

Eine erhellende Sichtweise auf den aufblühenden Multilateralismus?

Eine Rückbesinnung auf die Kernaufgaben von IWF und der Weltbank, wie sie in den jeweiligen Abkommen vom Juli 1944 festgelegt wurden, lässt einen gewissen Interpretationsspielraum zu. Im Abkommen von Bretton Woods wurden beide Organisationen beauftragt, „die Ausweitung und das ausgewogene Wachstum des internationalen Handels zu erleichtern“ beziehungsweise „das langfristige ausgewogene Wachstum des internationalen Handels zu fördern“. Diese Formulierungen deuteten auf einen drohenden Konflikt zwischen den USA und den meisten anderen Mitgliedern über die künftige Rolle der beiden Organisationen hin, denn der Begriff „ausgewogen“ war weitgehend ein Erbe des Bretton-Woods-Systems von vor 1973, in dem die Währungen an den US-Dollar und an Gold gebunden waren (was im Falle eines anhaltenden Handelsdefizits zu einer untragbaren Belastung der Devisenreserven einer Zentralbank und einer daraus resultierenden Zahlungsbilanzkrise führen würde). Die Einführung flexibler Wechselkurse entkräftete das ökonomische Argument des „gleichgewichtigen“ Handels – bis Michael Pettis (2013) ein wichtiges Puzzlestück zu den intellektuellen Grundlagen des „America first“-Arguments in Bezug auf globale Handelsungleichgewichte beisteuerte und die Unterdrückung des Binnenkonsums in den Überschussländern (durch hohe Steuern und/oder niedrige Löhne) als Ursache für finanzielle Instabilität und globale Ungleichgewichte identifizierte.

Die Eleganz der konzeptionellen Gymnastik

Im Spannungsfeld zwischen einem möglichen Austritt der USA und einer irreparablen Beschädigung der regelbasierten Handelsordnung mussten sich die beiden Bretton-Woods-Organisationen sehr vorsichtig positionieren. Mit dem Thema „Arbeitsplätze: Der Weg zum Wohlstand“ fanden sie den Punkt, an dem sie am wenigsten unter Druck gerieten und gleichzeitig die größte Unterstützung erhielten. In seiner Global Policy Agenda 2025 wollte der IWF seinen Mitgliedsländern helfen, „Volkswirtschaften für nachhaltiges Wachstum – der Schlüssel zu mehr Arbeitsplätzen und höheren Einkommen – aufzubauen“. Dies erfordere Stabilität (an der es derzeit mangelt), verbunden mit Unterstützung bei der Suche nach kooperativen Lösungen (statt unilateralem Zwang) für gemeinsame wirtschaftliche Herausforderungen (statt nationalistischer Agenden) und konstruktiven Lösungen (statt merkantilistischer Ansätze) zur Entschärfung von Handelskonflikten: „Regelbasierte und faire Wettbewerbsbedingungen sind erforderlich, unter anderem durch die Vermeidung wettbewerbsverzerrender Maßnahmen zur Sicherung von Wettbewerbsvorteilen und Maßnahmen, die den Handelsfluss behindern“. Der IWF werde seine Bemühungen fortsetzen, „übermäßige Ungleichgewichte zu identifizieren und Politikberatung zu leisten, um eine geordnete Neuausrichtung zu fördern und finanzielle Friktionen zu verringern, die mit Ungleichgewichten zusammenwirken und die Stabilität des internationalen Währungssystems untergraben könnten“.

Der halbjährliche World Economic Outlook (WEO), die wichtigste Veröffentlichung des IWF für die Frühjahrs- und Jahrestagungen, definiert die politischen Herausforderungen für beide Organisationen im Hinblick auf ihre jeweiligen Rollen, Mandate, Legitimitätsquellen und Zugang zu Finanzmitteln vor dem Hintergrund einer wirtschaftlichen Realität, in der der regelbasierte Multilateralismus, den sie eigentlich verteidigen sollten, von innen angegriffen wurde. Die IWF-Ökonomen haben ihre Annahmen angepasst, ihre Modelle überarbeitet und ihre Wachstumsprognose für die USA (Welt/EU) für 2025 um 0,9 (0,5/0,2) Prozentpunkte auf 1,8 (2,8/0,8) Prozent gesenkt. Dies bedeutet, dass schätzungsweise 263 (553/39) Milliarden US-Dollar des gesamten Marktwertes von Gütern und Dienstleistungen in den USA (Welt/EU) auf einen Schlag und mit einer Unterschrift vernichtet worden sind.

Der IWF argumentierte weiter, dass die Zölle für die USA einen Angebotsschock darstellten, der zu einer sinkenden Produktivität (d.h. langfristig zu einer geringeren Innovationsfähigkeit) und steigenden Stückkosten (d.h. dauerhaft höheren Inflationsraten) führe. Diese Effekte würden verstärkt durch (i) die Reaktion des privaten Sektors auf die erhöhte Unsicherheit, die zu Investitionsaufschüben und geringeren Ausgaben führten, (ii) eine Verschlechterung der finanziellen Rahmenbedingungen (besonders ausgeprägt in Ländern mit hoher Staatsverschuldung) und (iii) eine erhöhte Wechselkursvolatilität. Insbesondere warnte der IWF, wie bereits auf diesen Seiten dargelegt, die US-Behörden davor, dass eine anhaltend hohe Unsicherheit in der Handelspolitik neue Impulse für regionale, plurilaterale und multilaterale Abkommen geben könnte, die Risiken mindern und die Vorhersehbarkeit der Politik verbessern würden. Indirekt ermutigten die IWF-Ökonomen die von Zöllen betroffenen Länder, ihre Referenzmärkte zu erweitern und ihre Handelspartner zu diversifizieren, indem sie argumentierten, dass „die Ausweitung und Vertiefung der internationalen Zusammenarbeit und der regionalen Integration … die Investitionen steigern, die Produktivität ankurbeln, das Wachstumspotenzial erhöhen und die Widerstandsfähigkeit der Länder gegenüber externen Schocks verbessern“ könnten.

Während der Frühjahrstagung unternahm die globale Finanzelite gemeinsame Anstrengungen, um die internen Differenzen innerhalb der US-Regierung zwischen Reformbefürwortern (wie Finanzminister Bessent) und Verfechtern eines Rückzugs der USA (wie Handelsminister Howard Lutnick und Handelsberater Peter Navarro) beizulegen. In seinem Abschlusskommuniqué versuchte der Internationale Währungs- und Finanzausschuss (IMFC) – ein Beratungsgremium des IWF-Gouverneursrats zur Überwachung und Steuerung des internationalen Währungs- und Finanzsystems – daher, der internationalen Gemeinschaft sein Bekenntnis zum wirtschaftlichen Multilateralismus zu versichern und gleichzeitig die Reformer in der gegenwärtigen US-Regierung zu stärken. Unter Hinweis darauf, dass sich die Weltwirtschaft an einem entscheidenden Wendepunkt befinde, betonte das Gremium, dass die Handelsspannungen abrupt zugenommen hätten, was zu größerer Unsicherheit, Marktvolatilität und höheren Risiken für das Wachstum und die finanzielle Stabilität geführt habe – wobei die geringere Wirtschaftstätigkeit und höhere Inflation „das ohnehin schwierige Umfeld mit schwachem Wachstum und hoher Staatsverschuldung“ verschärften. Der IMFC griff den Aspekt der Beschäftigung als Bindeglied zwischen der Bekräftigung des regelbasierten Multilateralismus („Wir werden zusammenarbeiten, um die Widerstandsfähigkeit der Weltwirtschaft zu stärken … und die Stabilität und das effektive Funktionieren des Weltwirtschaftssystems zu fördern“) und der Anerkennung der zuvor geäußerten Bedenken der USA auf („Wir werden auch zusammenarbeiten, um übermäßige globale Ungleichgewichte zu beseitigen“). Konkret reichte das hochrangige Beratungsgremium des IWF dem US-Finanzminister die Hand, indem es sein institutionelles Engagement bekräftigte (das Bessent als „von bleibendem Wert“ bezeichnete) und dieses mit dem Versprechen verknüpfte, weitere Möglichkeiten zu prüfen, um sicherzustellen, dass der IWF (wieder) „agil und fokussiert“ werde (in impliziter Anerkennung seiner Kritik an der „Mandatsausweitung“).

Auswirkungen und Ausblick: Was erwartet uns?

Es bleibt abzuwarten, ob diese elegante Kompromissformel, die während der politisch heiklen Frühjahrstagung sorgfältig ausgearbeitet wurde, tatsächlich einen ersten Schritt zur Verringerung der ökonomischen Unsicherheit und zur Beruhigung des allgemeinen Wirtschaftsklimas darstellt. Ob gewollt oder nicht, die einwöchige Veranstaltung fiel in die politische Flaute einer dreimonatigen Zollpause und eines vorübergehenden Waffenstillstands im Streit zwischen dem US-Präsidenten und dem Notenbankchef um die Unabhängigkeit der Federal Reserve. Folgt man jedoch der (privaten) Argumentation von Stephen Miran, dem neuen Vorsitzenden des Wirtschaftsberatergremiums von Präsident Trump, so ist es die anhaltende Überbewertung des US-Dollars, die die Wettbewerbsfähigkeit der USA beeinträchtigt und zu anhaltenden Handelsdefiziten geführt hat. Er schlug ein „Mar-a-Lago-Abkommen“ vor, ein „multilaterales Währungsabkommen für das 21. Jahrhundert“, in dem Nichtamerikaner mehr Verantwortung für die Verteidigung übernehmen und einem neuen multilateralen Abkommen zur Neuausrichtung der Wechselkurse zustimmen müssten (was zu einer deutliche Abwertung des US-Dollars gegenüber den Währungen der wichtigsten Handelspartnern führen sollte), um die globalen Ungleichgewichte zu beseitigen. Eine solche Vereinbarung würde die Zusammenarbeit der wichtigsten Handelspartner erfordern, wie sie in den Bretton-Woods-Organisationen vorgesehen ist. Miran schlägt vor, dies auf folgende Weise zu erreichen: „Wie können die USA ihre Handels- und Sicherheitspartner zu einem solchen Abkommen bewegen? Erstens mit der Peitsche der Zölle. Zweitens mit dem Zuckerbrot der Verteidigungsgarantie und dem Risiko, diese zu verlieren“ (Hervorhebung hinzugefügt).

Geringe Sichtbarkeit beim Ausblick auf internationalen Handel

Aus politischer Sicht sind Handelsungleichgewichte der Öffentlichkeit leichter zu vermitteln als Leistungsbilanzdefizite, insbesondere wenn ein direkter Bezug zur heimischen Produktion und Beschäftigung hergestellt werden kann. Dabei implizieren Defizite bei Gütern und Dienstleistungen einen Überschuss des Konsums über die Produktion, der nur durch Kapitalzuflüsse und Auslandsverschuldung finanziert werden kann, was durch den Status des US-Dollars als Weltreservewährung erleichtert und verbilligt wird. Wenn die US-Regierung nun das Vertrauen in die USA als Handelspartner und in den US-Dollar als Reservewährung aufs Spiel setzt, gibt es nur eine rationale Rechtfertigung für eine solche Strategie: die Vorbereitung eines sanften Zahlungsausfalls bei einer US-Staatsverschuldung, die nach aktuellen Schätzungen des IWF im Jahr 2024 bei rund 121 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) liegt. Das Congressional Budget Office geht davon aus, dass die US-Regierung nach Zinsausgaben in Höhe von rund 3,1 Prozent des BIP im Jahr 2024 (d.h. rund 13 Prozent der Gesamtausgaben und mehr als für Verteidigung) im laufenden Haushaltsjahr ein Budgetdefizit von rund 6,2 Prozent des BIP im derzeitigen Haushalt finanzieren muss. Wie bereits erwähnt geben die Haushaltsprojektionen selbst unter optimistischen Annahmen Anlass zu ernsten Bedenken, ob genügend Spielraum für diskretionäre Ausgaben geschaffen werden könne. Noch beunruhigender ist die Tatsache, dass die Zinsverpflichtungen im Verhältnis zum Gesamtwert der Güter und Dienstleistungen des Landes weiter ansteigen werden, wenn keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden, wodurch ihre Finanzierung immer schwieriger wird.

Somit besteht ein starkes Interesse an einer Umschuldung der US-Schulden mit deutlich ungünstigeren Bedingungen für die Gläubiger. In diesem Fall verschleiert die merkantilistische Sicht des Handels die implizite Erpressung durch hohe Zölle oder deren Androhung, um so (i) die politische Akzeptanz für die Umschuldung kurzfristiger, hochverzinslicher US-Schulden in längerfristige, niedrigverzinsliche Papiere zu erhöhen, (ii) die unerschwinglich gewordenen Verteidigungsverpflichtungen zu delegieren und/oder (iii) die Exporte for allem fossiler Brennstoffe aus den USA zu erhöhen. Es geht also nicht darum, David Ricardos Einsicht in die Bedeutung der internationalen Arbeitsteilung für den globalen Wohlstand zu ignorieren, sondern darum, genau diese Einsicht zu nutzen, um andere Länder zu zwingen, die von den USA vorgeschlagenen Regeländerungen zu akzeptieren. In diesem Falle ist die Sprache, in der der IMFC im April 2025 seine „Wechselkursverpflichtungen vom April 2021 bestätigt“, bezeichnend. Dort hieß es: „Wir bleiben unserer Verpflichtung treu, dass unsere Wechselkurse die zugrunde liegenden wirtschaftlichen Fundamentaldaten widerspiegeln, und stellen fest, dass Wechselkursflexibilität die Anpassung unserer Volkswirtschaften erleichtern kann“ (Hervorhebung hinzugefügt). Dies wäre gleichbedeutend mit erheblichen Turbulenzen, Neuorientierungen und Risiken für die Zukunft, wenn sich die Weltwirtschaft sehr viel schneller vom US-Dollar als globaler Reservewährung entfernt, als noch vor weniger als einem Jahr vom IWF prognostiziert. Mehr als die kuriose Zollformel vermuten lässt, scheint der Handelskrieg einen wesentlich ernsteren Hintergrund zu haben.

Jan-Peter Olters

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